Die Umsetzung eines klimaneutralen Gebäudebestands ist wesentliche Voraussetzung für das Erreichen des Ziels einer vollständigen Dekarbonisierung in Deutschland und der EU. Hierfür ist vor allem die deutliche Steigerung der energetischen Sanierungsrate von Bestandsgebäuden erforderlich. Die Bundesregierung reizt die Umsetzung von Sanierungsvorhaben mit staatlichen Förderprogrammen an. Ein Zugriff auf diese Fördermittel ist in der Regel mit der Maßgabe verbunden, eine unabhängige Energieberatung einzuschalten. Hierdurch wird die Energieberatung quasi zur Schnittstelle zwischen Sanierungswilligen und Fördermitteln und spielt eine entsprechend wichtige Scharnierrolle.
Zwei wesentliche Barrieren wirken sich laut der aktuellen Ariadne-Analyse „Beitrag der Energieberatung zur Wärmewende vor Ort: Hauseigentümer und Fördergelder zielführend zusammenbringen“ derzeit negativ auf diese Rolle aus: (1) mangelndes bzw. nicht auf die Bedürfnisse von Sanierungswilligen zugeschnittenes Angebot an Beratung, und (2) eine mangelnde Nachfrage nach Beratung aufgrund von Bedenken gegenüber den Beratenden bzw. dem zusätzlichen Aufwand durch die Einschaltung einer Beratung. Häufig sind neben den Investitionskosten die Qualität der Beratung und das Vertrauen der Sanierungswilligen in die Beratung wesentliche Bestimmungsfaktoren für die gewählte Sanierungstiefe. Mit zunehmenden technischen Anforderungen und gestiegener Komplexität kann die Beratungsdienstleistung eine „Kümmerfunktion“ einnehmen, indem sie Unsicherheiten über rechtliche, technische und wirtschaftliche Aspekte der Sanierung beseitigen. Dies funktioniert jedoch nur dann, wenn Sanierungswillige das Beratungsangebot entsprechend als vertrauenswürdig und kompetent einschätzen. Andererseits kann die Pflicht zur Einschaltung von Beratenden auch zum Nadelöhr werden: Dies etwa, wenn nicht ausreichend Beratungskapazität vorliegt, das Angebot an Beratung nicht alle Sanierungsfälle abdeckt oder die Qualität der Beratung nicht eindeutig abschätzbar ist. Eine dynamische Marktentwicklung des Beratungsmarkts in Hinblick auf die systematische Beseitigung der vorhandenen „Barrieren“ bei der Energieberatung sind mithin wesentlich, damit die staatlichen Fördermittel umfassend und effizient zu Sanierungserfolgen geleitet werden.
Die Analyse basiert auf der GIH-Mitgliederbefragung 2020/2021 und sichtet somit Marktentwicklung und existierende Barrieren aus Sicht der Angebotsseite von Energieberatung. Die Perspektive der Angebotsseite wurde hierbei bewusst gewählt: Hier zeigen sich aus Sicht der Beratenden wiederkehrende Muster, aus denen sich Hypothesen möglicher Barrieren und Markthemmnissen ableiten lassen. Weiter lassen die Rückmeldungen der Beratenden Rückschlüsse über Marktentwicklung (Geschäftsmodelle) und Marktdynamik zu.
Auf den ersten Blick mag es überraschend sein, die Beraterinnen und Berater nach den Bedürfnissen ihrer potentiellen Kundinnen und Kunden zu fragen anstatt (oder auch) die Sanierungswilligen selbst. Hier besteht jedoch ein Requirierungsproblem: Potenzielle Kunden, die Beratung nicht wahrnehmen, können schlichtweg nicht identifiziert und daher nicht befragt werden. Daher werden „ersatzweise“ die Beratenden nach ihren Eindrücken befragt, was einer Ausdehnung des Marktes (d.h. mehr Nachfrage durch Sanierungswillige, v.a. derjenigen, die jetzt noch Bedenken haben) im Weg stehen könnte. Die entsprechenden methodischen Limitationen werden dabei explizit diskutiert.
Die vorliegende Analyse ist neben der Marktstudie der Bundesstelle für Energieeffizienz (2021) die umfassendste verfügbare Marktstudie. Im Hinblick auf die Marktdynamik kann die BfEE–Studie bestätigt werden: Der Markt für Energieberatung in Deutschland ist im europäischen Vergleich sehr umfassend und stabil ausgebaut. Im Unterschied zur BfEE–Studie vertieft und verbreitert die vorliegende Untersuchung allerdings die Analyse von Energieeffizienzbarrieren deutlich. Hierbei zeigt sich, dass ergänzend zu traditionellen Hindernissen die gestiegene Komplexität gesetzlicher Sanierungsvorgaben als zusätzliche Barriere auftritt. Diese schreckt viele Verbrauchende von Sanierungen ab bzw. kann zu suboptimalen Sanierungsergebnissen führen. Hier zeigt sich die Bedeutung der Schnittstellenfunktion der Beratung: Während die Komplexität von Sanierungsmaßnahmen technisch und rechtlich mit der Notwendigkeit tiefer Sanierungen künftig eher noch steigen dürfte, kann eine qualitativ klar definierte Beratungsleistung den Sanierungswilligen diese Komplexität abnehmen und damit die Sanierungsentscheidung vereinfachen. Durch eine gezielte Beratung der Sanierungswilligen kann verhindert werden, dass lediglich punktuell Einzelmaßnahmen anstelle einer umfassenden Sanierung oder diese Einzelmaßnahmen zumindest im Rahmen eines individuellen Sanierungsfahrplans (iSFP) durchgeführt werden. So werden Lock-in-Effekte für weitere energetische Maßnahmen vermieden und das volle Potenzial für erneuerbare Energien und Energieeffizienz im Gebäudebereich ausgeschöpft.
Weiterhin zeigt die Analyse, dass eine stagnierende Marktdynamik erkennbar ist, die im Sinne des Ziels eines klimaneutralen Gebäudebestands belebt werden muss. In diesem Sinne scheint es geboten, das bislang nicht geschützte Berufsbild „Energieberatung“ klarer zu definieren bzw. Mindeststandards für die Qualitätssicherung einzuführen. Dies dient gleichzeitig dem Schutz der Sanierungswilligen und wirkt deren Befürchtungen entgegen, eine qualitativ unzureichende Beratung zu erhalten. Weiter sind die Verjüngung und Verbreiterung des Angebots an Beratung zu nennen. Zuletzt gilt es, systematisch neue Geschäftsfelder für die Beratenden zu erschließen, um Energieberatung als Beruf attraktiv zu machen. In diesem Sinne scheint es geboten, die Fachberatung klar von existierenden qualitativ niedrigen Angeboten – etwa kostenlose bzw. günstige Internet–Beratungsanbietern – abzugrenzen. Stärkere Markttransparenz könnte zum Beispiel über die Einrichtung eines „One Stop Shop“ umgesetzt werden, der die zahlreichen Akteure, Angebote und Informationen bündelt.
Die Autoren der Ariadne-Analyse